“Reisefotos eignen sich nicht nur bestens dazu, Freunde vor Neid erblassen oder vor Langeweile stöhnen zu lassen. Sie sind vor allem Wahrnehmungs- und Gedächtnisstützen. Dem auf Reisen so häufig einsetzenden Schnappschusszwang liegt wahrscheinlich der Glaube zugrunde, dass unsere Erinnerungen durch die Produktion anfassbarer Bilder vor dem Vergessen bewahrt sind, dass sie realer werden, wenn nicht gar unsterblich. Aber so wie die eigentlichen Erinnerungen, deren Platz diese Bilder nach und nach einnehmen, in den Untiefen unseres Gedächtnisses landen, landen auch unsere Fotos in Umschlägen, Schubladen und Schuhkartons, die wir kaum je anrühren, oder als Dateien irgendwo auf unserer Festplatte.

Aber Vorsicht: Manchmal beginnen unsere bildgewordenen Erinnerungen ein Eigenleben. Bei der Ausstellung „Kapitän Hansen” sind kommende Woche in der Kreuzberger Türgalerie ganze 15000 Dias eines selbsternannten Kapitäns zu sehen. Die riesige Sammlung wurde in einer Garage gefunden, verstaut in einer Reihe von Schachteln mit Aufschriften wie „Singapur 72” oder „Afrika 66”. Sie dokumentiert mehrere Jahrzehnte, die der anonyme Fotograf damit zugebracht hat, die Welt zu bereisen. Die Fotos von Rollbahnen, sonnigen Stränden, kargen Wüstenlandschaften und die Selbstporträts (allein und in Unterwäsche oder von Frauen umgeben) erzählen mehr Geschichten als der Kapitän Hansen je geahnt hätte.”

Aus: SugarHigh | 26 March, 2013 | www.sugarhigh.de/issue/846-lifetime-photos
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